Nicht mir mir und mit niemandem sonst

Ich bin seit 2009 Krankenpfleger im Bereich Pulmologie und vor 3 Jahren aus einer anderen Großstadt in ein Berliner Krankenhaus gewechselt, um mich dort weiterhin mit lungenkranken Menschen zu beschäftigen. Auch wenn es ein eher unbeliebtes Fachgebiet ist, liegt es mir und ich liebe es. Ich liebe meinen Beruf und ich bin sehr stolz darauf. Allerdings bin ich so schockiert über die unterirdisch schlechte Versorgung in diesem Haus, dass ich es dort nicht länger als 2 Jahre ausgehalten habe.

Das Hauptsymptom in diesem Arbeitsbereich ist Luftnot. Diese ist fast ausnahmslos mit Panik verbunden, welche in wenigen Minuten zur Todesangst und rapiden körperlichen Verschlechterung führt. Mit meinen Erfahrungen konnte ich bis zu meinem Umzug nach Berlin auch solche Patient:innen gut versorgen – in diesem Klinikum nicht. Ein Team teilt sich über 45 Betten. Mehr als häufig kam es vor, dass sich Leasingkräfte kurzfristig krankmelden. Die Pflegebereichsleitung ist zu diesen Zeitpunkten meist nicht im Dienst.

Was ich auf dieser Station betrieben habe, war Massenverwahrung. Panikpatient:innen wurden von mir so häufig in ihrer Angst alleine gelassen, dass ich es nicht mehr aufzählen kann. Egal wie sehr man sich jeden Tag angestrengt hat, ohne Pause, stets im Stechschritt – ich wurde nicht fertig. Die Rettungsstelle lieferte teilweise 4 – 5 multimorbide Patient:innen auf der Trage mit schon längst entleerten Sauerstoffflaschen, einige fanden ich und meine Kolleg:innen auch schon mal tot in den Buchten auf den Fluren.

In einem meiner Dienste, noch vor Corona, begrüßte mich meine Stationsleitung mit dem Satz: „Dreh jetzt bitte nicht durch – die gebuchte Leasingkraft hat sich verfahren und ist nicht aufgetaucht und wir brauchen die zweite examinierte Pflegekraft für unsere andere Station.”

Es folgte eine Schicht mit 30 Pflege- und Schwerpflegefällen: Demente Personen mit Hinlauftendenz, mehrere Isolationen mit Tuberkulose, mehrere kleinere Notfälle (z.B. akute Atemnot). Das mit einer Kollegin, die sich teils auf der Station nicht auskannte und zwei Assistent:innen, die zum ersten Mal im Haus waren und sich aus mangelndem Hygienewissen weigerten in die Tuberkulose-Isolationszimmer zu gehen.

Außerdem musste ich mich auch noch um die Kollegin kümmern, die sich scheinbar auf ihrem Arbeitsweg „verirrt” hatte – so telefonierte ich an diesem Tag zum ersten Mal mit der Polizei. Gegen Abend lief mir noch ein Patient mit Demenz weg und konnte zunächst nicht gefunden werden, weshalb ich ein weiteres Mal die Polizei verständigen mussten. Ich meldete mich bei dem zuständigen Pflegebereichsleiter, der mir einen Rückruf versprach, auf den ich heute noch warte.

An diesem Tag ließ ich Patient:innen mit ihren Schmerzen im Stich, wenn das erste Medikament nicht den gewünschten Effekt hatte. Ich habe ängstliche, chronisch Erkrankte wegen des Zeitdrucks beinahe brutal behandeln müssen, um sie wenigstens einmal in der Schicht von ihren Exkrementen zu befreien. Ich habe Luftnot ohne Betreuung mit Morphin behandeln müssen und ansonsten weiß ich von der Schicht nicht mehr wirklich viel. Irgendwie müssen wir dazwischen noch Essen verteilt und ich die Administration (Telefon, Aufnahmen etc.) bewerkstelligt haben.

Ich hatte nicht mehr als 2 Minuten gesessen, ich war um kurz vor Mitternacht noch nicht mit der Abendrunde durch und hatte seit mehr als 15 Stunden nichts getrunken. Ich meldete noch der Stationsärztin, dass ich mich fühle als sei ich schon zusammen gebrochen. „Alles was nicht versterben darf, muss über den Dienst kommen – der Rest geht heute unter”: Das war mein Gedanke. Und „Hoffentlich hauen mir die Assistent:innen nicht ab”. Denn auch das ist schon vorgekommen.

Als ich nach Hause ging, erinnere ich mich, mir ein gebrochenes Bein gewünscht zu haben, aber krank habe ich mich nicht gemeldet – denn ich bin physisch sehr selten angeschlagen.
Und obwohl mich mein Erschöpfungszustand ängstigte (die Dienste davor waren ja trotz etwas besserer Besetzung auch schon zum Davonlaufen…), ging ich am nächsten Tag wieder auf die Station. Von diesem Dienst weiß ich bis heute NICHTS mehr. Ich weiß nicht mehr, welche Medikamente ich wem gegeben habe, mit wem ich gesprochen habe. Ich kam zu Hause an und hatte Tagträume, dass ich im Patient:innenzimmer stehe, mich der Arzt mit verzogenem Gesichtern anlächelt und ich mich frage, was ich hier eigentlich mache. In der Nacht wachte ich aus dem Schlaf auf und hatte einen Ruhepuls von über 120/min und Angst zu sterben. Ich hatte Angst in dem Zustand nochmal auf die Station zu gehen, weil ich für nichts mehr garantieren konnte. Das war meine erste Krankmeldung. Ich bin Anfang 30.

Ich weiß, dass Dienste dieser Art keine Seltenheit oder gar Einzelfälle sind – aber ich kann dieses Gefühl und dem Druck nicht standhalten, ohne einen psychischen Schaden davon zu tragen, weil einen das Verantwortungsgefühl immer über die eigenen Bedürfnisse hinweg gehen lässt. Das würde ohne Personalmangel nicht passieren.

Der „Rückhalt” aus dem Konzern ist eher Gegenwind – für mich ein von Grund auf zerrüttetes Arbeitsverhältnis mit maximalem Misstrauen. Die Empathielosigkeit und fehlende Wertschätzung von der aktuellen Chefetage ekelt mich zutiefst an und ich bin in jedem Haus würdevoller behandelt worden, als von diesen ignoranten und unfähigen Menschen, denen ich allen wünsche, dass sie in der nächsten Zeit mal Kontakt als Patient:in oder Angehörige haben, um zu erleben, was sie eigentlich für eine Verantwortung haben.

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