hintergründe

rechtliche Rahmenbedingungen

interview mit DAniel Weidman

Dürfen wir das? Ja, wir dürfen!

Häufig kommt die Frage auf: Dürfen wir überhaupt über Missstände am Arbeitsplatz sprechen oder bekommen wir dann Probleme mit unserem Arbeitgeber? Die Antwort ist: Ja, wir dürfen! Aber es ist – aus juristischer Perspektive – eine «sensible Angelegenheit». Deswegen haben wir mit dem Rechtsanwalt Daniel Weidmann über die rechtlichen Rahmenbedingungen gesprochen und ihn gefragt, worauf Beschäftigte achten müssen, wenn sie von ihren Arbeitserfahrungen berichten und den Pflegenotstand öffentlich machen wollen. Daniel Weidmann arbeitet in der Berliner Kanzlei dka Rechtsanwälte und ist als Fachanwalt für Arbeitsrecht ausschließlich aufseiten von Beschäftigten tätig.

Ja, allerdings ist es eine sensible Angelegenheit, bei der es immer darauf ankommt, mit wem man spricht und wer einen dabei unterstützt.

Im Betrieb kann man Missstände wie systematische Überforderung natürlich besprechen. Der Austausch mit Kolleg*innen im unmittelbaren Arbeitsumfeld ist wichtig, vor allem dann, wenn sie von den beschriebenen Missständen auch selbst betroffen sind.

Auch können Beschäftigte sich stets an den Betriebs- oder Personalrat wenden. Hier gibt es klare gesetzliche Regelungen: Gemäß § 85 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) muss der Betriebsrat Beschwerden der Beschäftigten entgegennehmen und beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinwirken.

Alternativ können Beschäftigte gemäß § 84 BetrVG auch ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen, wenn sie sich selbst direkt beim Arbeitgeber über einen Missstand beschweren wollen. Deshalb sind Betriebsräte so wichtig.

Außenstehende, zu denen ein rechtlich besonders geregeltes Vertrauensverhältnis besteht, kann man auch mit einbeziehen. Das betrifft zum einen Mediziner*innen, bei denen die Betroffenen als Patient*innen in Behandlung sind und sie ins Vertrauen ziehen, weil dies im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung erforderlich ist. Zum anderen müssen sich Betroffene selbstverständlich auch Anwält*innen oder gewerkschaftlichen Rechtssekretär*innen anvertrauen können, weil sie nur so eine rechtliche Beratung zu ihren Handlungsmöglichkeiten und -pflichten erhalten können.

Sobald Informationen über die Zustände in einem Betrieb aber an Dritte, also an die Öffentlichkeit, weitergegeben werden, wird die ganze Sache etwas komplizierter.

Beschäftigte, die Außenstehende wie Behörden oder Medien auf Missstände an ihrem Arbeitsplatz hinweisen wollen, können sich bisher nur an der ziemlich allgemein gehaltenen Regelung des § 5 Nr. 2 des Geschäftsgeheimnisgesetzes (GeschGehG) orientieren.

Demnach dürfen Beschäftigte dann über betriebliche Interna sprechen, wenn dies «zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens» geschieht. Dies soll allerdings nur dann gelten, «wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen».

Anders als in vielen anderen Ländern ist der juristische Schutz für Beschäftigte, die auf Rechtsverletzungen oder andere strukturelle Probleme am Arbeitsplatz hinweisen, in Deutschland leider sehr unausgereift, obwohl auf Ebene der Europäischen Union bereits Ende des vergangenen Jahrzehnts die sogenannte Hinweisgeber-Richtlinie erarbeitet wurde, die Hinweisgeber*innen – sogenannte Whistleblower*innen – schützen soll. Leider hat die Bundesrepublik Deutschland es auch mehr als drei Jahre später noch nicht geschafft, diese EU-Richtlinie in ein deutsches Gesetz zu verwandeln.

An Journalist*innen kann man sich zwar nur wenden, wenn man zuvor versucht hat, den Missstand innerbetrieblich zu lösen. Allerdings können Journalist*innen sich ihrerseits so oder so auf den sogenannten Quellenschutz berufen und sich weigern, preiszugeben, von wem sie eine bestimmte Information erhalten haben. Auch solche Gespräche finden also in einem geschützten Rahmen statt.

Wenn es um die Öffentlichkeit geht, also um Außenstehende, die nicht dem Betrieb angehören, dann würde ich von Alleingängen dringend abraten. Beschäftigte, die Missstände öffentlich machen wollen, sollten das gemeinsam mit der Gewerkschaft in Angriff nehmen, juristischen Rat in Anspruch nehmen und gegebenenfalls auch den Betriebsrat oder den Personalrat hinzuziehen.

Wer an die Öffentlichkeit geht, sollte folgende Punkte beachten: Erstens müssen die Angaben, die ich mache, natürlich allesamt zutreffend sein. Im Ernstfall, das heißt vor Gericht, brauche ich Beweise.

Zweitens sehen die Gerichte die Hinweisgeber*innen in der Regel auch in der Pflicht, zunächst innerbetrieblich auf Abhilfe hinzuwirken, zum Beispiel mit einer Gefährdungsanzeige oder mit einer Beschwerde beim Betriebsrat.

Erst dann, wenn der Arbeitgeber bereits vergeblich auf den Missstand hingewiesen worden ist und aufgefordert wurde, das Problem zu beseitigen, akzeptieren Gerichte, dass sich Beschäftigte an Dritte wenden, die nicht dem Betrieb angehören. Nur bei extrem schwerwiegenden Vorwürfen oder dann, wenn eine innerbetriebliche Klärung offensichtlich aussichtslos ist, lassen Gerichte den sofortigen Hinweis an externe Stellen zu. Die Einschätzung, ob das im Einzelfall erforderlich ist oder nicht, fällt schwer. Daher sollten Beschäftigte diese Entscheidung besser nicht allein treffen, sondern nur mit juristischer Begleitung.

Drittens spielen für die Gerichte auch die Motive der Hinweisgeber*innen und die «Verhältnismäßigkeit» eine Rolle, also die Frage, ob das Mittel, das gewählt wurde – in diesem Fall: an die Öffentlichkeit zu gehen –, in einem angemessenen Verhältnis zu dem Missstand steht, der behoben werden soll. Weil es sich aber schwer einschätzen lässt, was ein Gericht im Einzelfall als «verhältnismäßige» oder «unverhältnismäßige Reaktion» in diesem Sinne ansehen würde, ist es sehr sinnvoll, sich vor der Informationsweitergabe juristischen Rat einzuholen.

Gemeinsam mit anderen Betroffenen, Betriebs- und Personalräten sowie mit gewerkschaftlichem und juristischem Beistand lassen sich diese Probleme aber durchaus meistern. Denn die Missstände, die Beschäftigte im Krankenhausalltag erleben, sind oft nicht nur geradezu haarsträubend, sondern den Verantwortlichen auch bereits lange wohlbekannt. Hier wäre es scheinheilig von einem Gericht, Betroffene für die Veröffentlichung solcher Zustände zu sanktionieren. Beachtet man die juristischen Regeln, muss man also nichts befürchten.

Ja, gewiss. Persönliche Daten dürfen natürlich auch nicht veröffentlicht werden, wenn die Betroffenen, zum Beispiel die Patient*innen, dem nicht ausdrücklich zugestimmt haben. Das dürfte in einer solchen Situation aber in der Regel auch überhaupt nicht erforderlich sein. Auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Arbeitgeberseite sind tabu. Das spielt hier aber ebenfalls keine herausragende Rolle, weil die wenigsten Missstände Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse in diesem Sinne darstellen dürften. Auch hier ist im Einzelfall allerdings unter Umständen juristische Beratung sinnvoll.

Solange sich ein Hinweis auf einen Missstand im Rahmen der beschriebenen strengen Regeln bewegt, muss sich ein*e Hinweisgeber*in keine Sorgen machen. Werden die überzogenen Maßstäbe, die die Gerichte hier anlegen, aber nicht beachtet, sind arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Abmahnungen oder Kündigungen durchaus denkbar. Theoretisch können Arbeitgeber darüber hinaus sogar versuchen, Schadensersatzansprüche oder Ähnliches geltend zu machen. Anders als bei einem genuinen Geheimnisverrat dürfte das im vorliegenden Fall allerdings schwerfallen. Betriebliche Missstände wie der Personalnotstand an Kliniken sind ja keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse im Sinne des GeschGehG. Dass Hinweisgeber*innen strafrechtlich sanktioniert werden, erscheint mir zudem im Hinblick auf die ausstehende Umsetzung der EU-Hinweisgeber-Richtlinie als schwer vorstellbar.

Durchaus! Das gebietet ja bereits der gesunde Menschenverstand. In § 16 Abs. 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) ist das auch vorgeschrieben: Wenn Beschäftigte auf eine Gefahr aufmerksam werden, müssen sie eine Gefährdungsanzeige erstattet. Dabei handelt es sich also nicht nur um ein Recht, sondern sogar um eine Pflicht der Beschäftigten. Das betrifft allerdings durchaus auch Dinge, die der Krankenhaus-Arbeitgeber am liebsten gar nicht hören möchte, also zum Beispiel Hinweise auf dramatische Unterbesetzungen und die Gefahren, die daraus entstehen, wie chronische Erschöpfung der Beschäftigten und die damit einhergehende Gefährdung von Patient*innen – also genau das, was ihr in euren Erfahrungsberichten beschreibt.

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