Durchs Fenster beim Sterben zusehen

Ich bin Auszubildende im zweiten Lehrjahr an einer Uniklinik in NRW. In meinem letzten Einsatz war ich auf der Covid-Station eingesetzt. Ich hatte Frühdienst, wir waren drei Examinierte, also ausgebildete Pflegekräfte, und ich als Auszubildende im Dienst. Auf einer Covid-Station zu arbeiten, bedeutet: Wir müssen uns jedes Mal vollständig isolieren, um in ein Zimmer gehen zu können. Das heißt: Bevor wir ein Zimmer betreten können, müssen Maske, Handschuhe, Schutzkittel, Haube und Schutzbrille müssen angezogen werden. Außerdem muss immer eine Person draußen bleiben, falls es Notfälle gibt, jemand klingelt, oder die Personen, die gerade in den Zimmern arbeiten etwas benötigen. Denn aufgrund der Isolationsmaßnahmen ist es nicht möglich, einfach aus dem Zimmer herauszulaufen und Sachen zu holen, wenn man was vergessen hat.

In dem Dienst, von dem ich berichten möchte, lag ein 92-jähriger Patient bei uns auf Station. Er ist COVID-positiv. Sein Zustand hatte sich in den vergangenen Tagen immer weiter verschlechtert. Der Patient wollte keine Reanimation und keine Intensivbehandlung mehr. Er durfte also gehen. In meinem Frühdienst verschlechterte sich sein Zustand immer weiter, sodass abzusehen war, dass der Patient in den nächsten Stunden versterben würde.

Alle Patient:innen bei uns sind an Monitore angeschlossen. Wir können also von außen die Vitalzeichen, also Herzfrequenzzähler, Sauerstoffsättigung und Atemfrequenz, einsehen. Bei dem Patienten sind im Verlauf meines Dienstes die Vitalzeichen zusehens schlechter geworden. Man konnte sehen, dass er von uns gehen wird. In diesem Moment wäre ich gerne ins Zimmer gegangen und hätte ihm dabei Gesellschaft geleistet. Denn ich an seiner Stelle wäre nicht gerne alleine gewesen. Doch ich konnte nicht ins Zimmer gehen, und einer sterbenden Person Gesellschaft leisten. Nicht wegen Covid, sondern weil wir unterbesetzt waren.

Ich musste draußen bleiben, da alle examinierten Pflegekräfte gerade in den Zimmern waren oder andere wichtige Aufgaben zu erledigen hatten. Und so stand ich vor dem Monitor und habe beobachtet, wie der Herzschlag des Sterbenden immer langsamer wurde und die Sauerstoffsättigung immer weiter sank. Ich habe dem Patienten also von draußen beim Sterben zugeguckt – weil einfach zu wenig Personal da war, um ihn in seinen letzten Lebensminuten zu begleiten.

Nach oben scrollen