Bericht aus einem Nachtdienst

Die Ratio 1:20 für einen Nachtdienst ist ein großes Problem. Das ist ein Erfahrungsbericht aus einer Nachtschicht auf einer Geriatrie – Station in der -für eine Berliner Universitätsklinik sehr lukrativen Geriatrischen Komplexbehandlung.

Hier in der Geriatrie arbeiten nicht nur junge engagierte Idealisten, nein auch „Alte Hasen” wie ich. Seit über 30 Jahren arbeite ich als Altenpflegerin.

Eine Nachtschicht: Dienstbeginn 21:45 Uhr. Übergabe Zeit bis 22:30 Uhr. 20 zum Teil sehr schwer betroffene Menschen werden von mir -alleine betreut. Normalerweise haben wir sogar 30 Betten belegt, da sind dann immerhin zwei Pflegefachkräfte vorgesehen für die Nacht. Wohlgemerkt eigentlich, denn ein Pflegehelfer wird auch oft als zweite Pflegefachkraft „gezählt”. Dieses Mal ist aber der zweite Kollege krank, der eingeplant war. Das war zwar schon zwei Tage vorher bekannt, aber keiner konnte einspringen. Pool oder Leasing wurde nicht genehmigt. Das war auch vor dem Streik schon oftmals so.

Die Bettenanzahl ist derzeit wegen des Streiks und vorher schon wegen Personalmangel und auch wegen der Pandemie auf 20 Menschen „heruntergefahren” worden. Aber da ist der „Bettendruck” (Zitat eines Arztes)

Alle Führungskräfte warten nur darauf die Bettenanzahl wieder hoch zu fahren.

Ok, ein Arzt ist jederzeit erreichbar wenn es ein Notfall nachts gibt, aber der hilft natürlich nicht beim Schieber unterschieben, beim bilanzieren, beim Bett beziehen, bei Vitalzeichen kontrollen, Rundgänge machen, Tabletten stellen, Infusionen vorbereiten und anhängen ( Teilweise bis zu 25 Stück pro Tag). Diese Nacht durfte ich früh schon 9 Infusionen anhängen da muss man dann schon gegen 4.30 anfangen sonst schafft man das nicht bis 6.00 Uhr. Dann alle 2 Stunden umpositionieren von 6 unkooperativen, demenzkranken und 2 sehr schwergewichtigen unbeweglichen Menschen, beim Urinbeutel leeren um 0.00 Uhr, Schreiben neuer Kurvenblätter, 1 Dauerkatheter legen wegen Harnverhalt. Ach ja… und ein Gespräch, weil jemand nicht schlafen kann, beruhigende erklärende, motivierende Worte finden? Das ist auch noch Aufgabe der zuständigen Pflegefachkraft in der Nacht, war aber keine Zeit für, daher nur 5 ml Melperon Laut Anordnung.

Das Bett des unruhigen Menschen der aus dem Bett klettern will jedoch nicht alleine laufen kann… auf den Flur stellen zur „Besseren Beobachtung.” Damit ein Sturz verhindert wird. Die Sitzwache für diesen Menschen wurde zwar gefordert aber nicht genehmigt….

Dazwischen darf ich natürlich das Händedesinfizieren und Schutzkittel anlegen nicht vergessen. 2x Clostridien positiv, 1 multiresistenter Keim ( das ist wenig wir hatten schon mehr Betroffene) 30 Sekunden dauert es, das Desinfektionsmittel einwirken zu lassen, nötig vor und nach jedem Kontakt… Na, wer hat Lust nachzurechnen wie viel Zeit dafür drauf geht…? funktioniert der PC? Nein. Nicht befriedigend.

Langsam, unübersichtlich, muss erst runter und wieder hochgefahren werden und das SAP Programm macht Probleme, Seiten bauen sich langsam auf, der Druckerpfad ist nicht bei allen Rechnern richtig eingestellt. Leistungen „abklickern” Pflegeplanung überprüfen? Keine Zeit, es klingelt alle 5 Minuten. Ich habe Glück… es funktioniert eine der beiden uralten viel zu kleinen Fäkalienspülen die andere piept nur. ( kommt ca 1 x wöchentlich vor, Man müsste mal eine Statistik machen wie oft die schon repariert wurden…) Zwei Menschen mit Durchfall, ein Mensch mit Atemnot und starken Schmerzen – BTM gabe geht schneller als ein Gespräch oder ein Wickel o. ähnliches. Beine mal hochlegen ohne dass die Klingel läutet? Pausenablösung? Hilfe für schwierige pflegerische Verrichtungen? Soll man sich auf der Nebenstation holen, klappt nicht immer, da dort selbst die Luft brennt und es außerdem von einigen Kollegen nur ungern in der Geriatrie geholfen wird.( „Ich biete meine Hilfe nur einmal an, ich komme nicht andauernd um nachzufragen” hat man mir diese Nacht gesagt von Nebenstation)

Kommt von einigen ( nicht allen) Kollegen so rüber nach dem Motto…” Wer da freiwillig arbeitet ist selber Schuld…” Diesen Satz habe ich mal von einer Pool Kraft gehört. Die kam dann allerdings nie wieder bei uns zum aushelfen.

Morgens um 6.30 kommt dann die Ablösung, dann darf ich in 45 Minuten alle 20 Menschen „übergeben” knapp 2 1/2 Minuten pro Mensch… Bei 30 Menschen wird die Übergabezeit pro Person noch geringer.

Dann mache ich Überstunden,( machen oft auch andere Kollegen) um noch für 20 Menschen die Pflege Berichte zu schreiben. Schreib ich aber nicht auf, weil dann womöglich im Überstunden Buch steht: „Arbeit besser einteilen…” Wenn man dann im Regen, auf den Bus gewartet und die U-Bahn vor der Nase weggefahren ist und später dann Zuhause ins Bett geht ( um nicht einschlafen zu können, weil man denkt „habe ich irgendwas vergessen?”)

Dann frage ich mich. Will das überhaupt jemand wissen? Oder würde dass dann noch mehr junge Menschen davon abhalten den Pflegeberuf zu ergreifen? Aber die Demographie zeigt uns dass auch in der für eine Berliner Universitätsklinik lukrativen Geriatrischen Komplexbehandlung die Zukunft liegt… unsere Zukunft… wir werden nämlich alle mal alt und krank und älter und kränker als jemals zuvor. Seit 2015 arbeite ich auf meiner Station, 31 Kollegen – davon 4 Leitungen – habe ich gehen sehen. 5 pro Jahr… Wären diese Kollegen alle geblieben hätten wir zumindest auf unserer Station keine Probleme mehr…

Manche fragen sich wohl, “wie hältst du das nur aus? Warum machst Du nur weiter?” Warum hast du dir nicht einen schönen ruhigen Bürojob gesucht?? Tja… dann kann ich nur sagen -Wie ein bekannter Intensivpfleger aus Berlin mal gesagt hat- Pflegt Euch doch alle selbst… ich werde das jetzt jedenfalls machen… Bitte die Ratio 1:10 für die Nachtschicht durchsetzen, auch das wird eine Menge Arbeit sein ist meiner Meinung nach absolutes Mindestmaß. Die Ratio für den Tagesdienst bitte bei 1:7im Frühdienst und Spätdienst und am Wochenende genau so. Die Menschen und der Arbeitsaufwand ändert sich nur geringfügig. Eine Schilderung der Früh – oder Spätschicht würde den Rahmen sprengen.

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